Irina Leshawa. Klagelieder

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Erzählungen 


Die Erzählung "Klagelieder" ist auf der Grundlage georgischen Materials geschrieben und diesem Land gewidmet. Ihre Handlung spielt in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als Georgien noch Teil der Sowjetunion war. Das Buch ist dem Genre psychologisches Drama zuzuordnen. Der Schreib- und Ausdrucksstil ist auf assoziative Art und Weise mit der georgischen Polyphonie vergleichbar, wo synchron einige gleichberechtigte Melodielinien tönen, sich entwickeln und zusammenwirken.  


Melodie von Nunu.


Auf der Beerdigung von Nunus Mann erscheint auf dem Friedhof eine Alte, die keiner aus der Familie kennt. Die Fremde beginnt ganz selbstlos, über den Gestorbenen zu wehklagen. Die Witwe, die immer ihren Mann der Untreue verdächtigt hat, vermutet, dass die alte Frau seine Liebhaberin war und will sich Gewissheit verschaffen. Zusammen mit ihrer nichts ahnenden Tochter besucht Nunu ihre vermeintliche Rivalin. Aber das Gespräch kommt nicht zustande.


Melodie der Alten.


Die Alte wehklagt über ihren Sohn, der vor vielen Jahren an Krebs gestorben war. Für den Tod ihres Kindes beschuldigt sie sich selber: denn aus dem Wunsch heraus, sich am Vater des Jungen zu rächen, verfluchte sie dessen gesamte Sippe. Bis zur Erkrankung Ihres Sohnes glaubte sie nicht daran, dass auch die von den Vätern rejizierten Kinder trotzdem Teil ihrer Sippe bleiben. Ihr Schuldbewusstsein kommt nun viel zu spät.


Melodie von Irine.


Die achtzehnjährige Tochter von Nunu Irine ist in den Kriminalisten Micho verliebt. Er ist viel älter als sie und flirtet mit ihr, ahnungslos über ihre aufrichtigen Gefühle. Die Mutter teilt Irine ihren Verdacht über das Verhältnis zwischen der Alten und ihrem Vaters mit und bittet sie, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.  


Irine hat aber Angst vor der Alten und bittet Micho um Hilfe. Der seinerseits, da er sich in Frauenlogik nicht gut auskennt, glaubt, dass die junge Frau ihn nur ausnutzen will.


Melodie von Micho.

 

In seiner Jugendzeit erlebte Micho eine weltanschauliche Krise: sein Vater, ein hochkarätiger sowjetischer Beamte und höchst intelligenter Mensch, wurde wegen Bestechlichkeit verhaftet, und seine Mutter unternahm einen Selbstmordversuch. In den folgenden Jahren stieß Micho auf die abscheulichsten Erscheinungen der menschlichen Natur und wurde von den Menschen enttäuscht. An zynische Verhaltensmuster gewohnt, hält er auch Irine für eine Rafferin, die sich nur für materielle Werte interessiert.


Als das Paar einmal mit dem Auto einen Ausflug in den Wald unternimmt, versucht Micho Irine zum Sex zu zwingen, aber Irine, die noch Jungfrau ist, leistet Widerstand. Micho, der keine Abwehr erwartet hatte, ist tief beleidigt. Irine ihrerseits fühlt sich erniedrigt und lechzt nach Rache. Aber bald versöhnen sich die jungen Leute wieder.  


Gesamte Vielstimmigkeit. 


Nunu entdeckt einen blauen Fleck auf dem Unterarm ihrer Tochter. Sie ist sich sicher, dass ihrer Tochter Gewalt angetan wurde. Irine verneint das aber und läuft weg. Sie erzählt Micho über ihren Streit mit der Mutter und schlägt ihm vor, dass sie heiraten sollten.


Die Witwe sucht Hilfe bei der Alten. Zwischen den zwei älteren Frauen kommt es zu einer Aussprache. Dabei gesteht die alte Frau, dass sie, um ihrem eigenen Kummer Luft zu machen, auf  Totenmessen und Beerdigungen absolut fremder Leute Klagelieder anstimmt. Sie hat sich jedoch nie mit Nunus Mann getroffen.